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In den Hinterzimmern der Weltmacht – USA Reise

Holzkirchner Merkur

Stephen Hank

Landkreis/Washington
Bevor seine Gäste zum nächsten Termin weitereilen, will ihnen Mike Doran dann doch noch die Dachterrasse zeigen. Von dort oben hat man einen fantastischen Blick aufs Washington Monument und das WaldorfAstoria gleich gegenüber. „Great view“, findet der frühere Berater von US-Präsi-dent George W. Bush, der jetzt beim Hudson Institut das Zentrum für Frieden und Sicherheit im Mittleren Osten leitet. Es sind die schönen Ausblicke bei diesem Arbeitsbesuch in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten. Was den Nahen Osten und China betrifft, hört der CSU-Bundestagsabgeordnete Alexander Radwan in Washington auch viel Beunruhigendes.

Vier Tage lang führt der 58-Jährige informelle Gespräche. Als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag will Radwan mehr erfahren über die Sicht der Amerikaner auf die Bestrebungen von China und dem Iran, auf internationaler Bühne eine gewichtigere Rolle einzunehmen. „Es ist wichtig, zu wissen, wie die USA als Weltmacht die Dinge bewerten, wie sie sich verhalten“, sagt Radwan. Er ist deshalb dankbar für das Zusammentreffen mit Parlamentsangehörigen, Regierungsberatern und Leitern von Denkfabriken.Organisiert hat die Begegnungen das Washingtoner Büro der Hanns-Seidel-Stiftung. Etwa zwei Mal pro Monat hat dessen Leiter Christian Forstner Delegationen aus Europa zu Gast. Seit sieben Jahren arbeitet der 53-Jährige in Washington, kennt in der Hauptstadt an jeder Straßenecke Leute. „Wir haben hier inzwischen ein gutes Netzwerk“, erzählt er.

Tatsächlich führt die dreiköpfige Delegation um Radwan nicht nur Gespräche in der Deutschen Botschaft, im US-Außenministerium und mit früheren US-Botschaftern in Europa, sondern trifft auch Abgeordnete des Repräsentantenhauses und Vertreter führender Thinktanks in der Hauptstadt. Die Kultur der Denkfabriken in den USA ist eine andere als in Europa. Oft übernehmen Regierungsmitglieder dort nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt wichtige Positionen oder kehren aus den Thinktanks zurück in die aktive Politik. Entsprechend tief sind die Einblicke, entsprechend eng die Kontakte mit Entscheidern aus beiden politischen Lagern. Gunther Friedl, der als Dekan der School of Management der Technischen Universität München der kleinen Gruppe angehört, bewertet die Zusammentreffen als äußerst wertvoll: „Es ist total wichtig, vor Ort eine Einschätzung zu Themen zu bekommen, die bei uns diskutiert werden.“

In Friedls Fall ist es vor allem die Sicht der Amerikaner auf ESG. also die Berücksichtigung von Kriterien aus den Bereichen Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance) beim Management von Firmen. Noch sei es in den Parlamenten in Deutschland und Europa ein Thema für Feinschmecker, weiß Radwan. Aber die EU-Kommission schreitet in der Sache voran. Für viele Unternehmen, auch in seinem Wahlkreis, dürfte es in Zukunft deutlich mehr Bürokratie und Belastung bedeuten. In den USA dagegen spielt ESG kaum eine Rolle,wird sich hier bestenfalls in abgespeckter Form wiederfinden, erfahren die beiden. International agierende Unternehmen werden wegen fehlender einheitlicher Standards künftig also doppelt belastet sein.
Die Gespräche finden im Stundentakt statt, mehrere pro Tag. Mit Uber-Fahrzeugen,manchmal auch zu Fuß, geht es von einem Treffen zum nächsten. Taxis sind auf den Straßen der Hauptstadt kaum mehr zu sehen. Es ist noch so eine Sache, die die USA von Deutschland unterscheidet. Viel wichtiger aber: Im Gegensatz zu Deutschland und Europa fahren die Vereinigten Staaten einen deutlich härteren Kurs gegenüber China (wir berichteten im überregionalen Teil). Während die in diesen Tagen veröffentlichte China-Strategie der Bundesregierung eher auf Risikominimierung anstatt Entkoppelung setzt, arbeiten die Staaten daran, heimischen Unternehmen Geschäfte mit China zu verbieten und das Engagement chinesischer Firmen auf dem amerikanischen Markt zu unterbinden.
Zumindest in dieser Hinsicht besteht Übereinkunft zwischen Demokraten und Republikanern in den USA. „Es ist ein Thema, das beide politischen Lager eint“, erzählt ein früherer Diplomat, der jetzt für eine große Anwaltskanzlei tätig ist. Man habe, berichtet der republikanische Abgeordnete Blaine Luetkemeyer aus Missouri, im Repräsentantenhaus inzwischen ein Komitee eingerichtet, das sich ausschließlich mit China befasst und Handlungsempfehlungen erarbeitet.

Erstaunt ist Radwan, wie weit inzwischen das chinesische Engagement im MittlerenOsten reicht, auch in militärischer Hinsicht. „Das war mir in diesem Ausmaß nicht bewusst“, gesteht er. Mehrere Experten bestätigen ihm, dass China seine Investitionen und Beziehungen in der Region massiv ausbaut. Weltweit stoße das Land in Lückenvor, wo immer sie sich auftun – besonders gerne dann, wenn die USA involviert sind und es ihnen schadet. Gerade in der Golfregion halten die Vereinigten Staaten denBall derzeit eher flach, aus deren Sicht gibt es aktuell wichtigere Baustellen in der Welt.
Die Erkenntnisse aus den Gesprächen speist der Abgeordnete nun in den Aussschuss und seine Fraktion ein. Er selbst findet, dass sich Deutschland und Europa im Nahen und Mittleren Osten mehr engagieren sollten, beispielsweise in Form von Bildungspro-grammen. „Im Gegensatz zu den USA sind wir von der Entwicklung in der Region unmittelbar betroffen“, sagt Radwan.
Nach vier intensiven Tagen sitzt der Abgeordnete wieder im Flugzeug, über Nacht geht es zurück nach München. Trips wie den nach Washington absolviert er regelmäßig, sie seien ein Bestandteil seiner parlamentarischen Arbeit. „Die persönlichen Beziehungen und das Vertrauen, das man auf diesen Reisen über die Jahre aufbaut, führen dazu, dass man eine belastbare Einschätzung bekommt“, weiß der 58-Jährige.

Weiter vorne in der Maschine studiert Joe Kaeser seine Unterlagen. Der frühere Vorstandsvorsitzende von Siemens gehört heute den Aufsichtsräten von vier international agierenden Unternehmen an, unter anderem Linde. Der 1871 in München gegründete Gase-Spezialist wird heute nur noch an der amerikanischen Börse gelistet. Die USA, sie sind auch wirtschaftlich nach wie vor eine Weltmacht.

Alexander Radwan 230728 HM USA Reise